Maria hat Multiple Sklerose

Maria ist 1960 geboren und leidet an Multiple Sklerose.
Die MS hat bei mir 1985 begonnen, diagnostiziert wurde sie erst 1994. Die Ärzte haben herumgerätselt. Dabei hat es klassisch begonnen, mit Sehstörungen im Sehkanal, also im Zentrum. Man sieht nur rundherum klar, in der Mitte wie durch ein Milchglas. Bei mir hat man das auf die viele Bildschirmarbeit geschoben, die ich als Sekretärin leisten musste.
Ein einziger, junger Augenarzt im Turnus hat bemerkt, dass mein Sehnerv beleidigt ist, bei einem Computersehtest. Er hat mich auf die Neurologie geschickt. Der dortige Professor hat mich neurologisch für gesund erklärt, aber gemeint: “Wenn wir es genau wissen wollen, müssen wir eine Liquor-Untersuchung (Rückenmarkspunktation, Anm.) machen, aber heute habe ich keine ruhige Hand.”
 
Das war noch 1985. 1994 wurde der Liquortest gemacht, nachdem ich so schleppend gegangen bin, taube Finger hatte, einseitig alles im Dezember ´93 so bamstig geworden ist. Wie Ameisen, wie eingeschlafen fühlt sich das an. Ich hab das heute noch, jede Sekunde. Bei mir hat man die MS auch deshalb so spät erkannt, weil die Symptome wieder verschwunden sind. Sie müssen ja nicht bleiben; irgendwann bleiben sie.
Nach dem Test hieß es: Sicher ist das nicht, dass Sie MS haben. Aber geben wir halt für alle Fälle Cortison. Damit ist es losgegangen. Cortison ist ein gutes Mittel, das einzige was die Entzündung sofort hemmt. Aber es hat gravierende Nebenwirkungen – der Körper schwemmt auf, die Knochen werden schwächer, man wird infektanfällig und auch der Zuckerstoffwechsel kann gestört werden. Aber trotzdem: MS ist eine entzündliche Nervenkrankheit. Wenn es einen Schub gibt, muss man mit der Bombe drauf. 1.000 mg Cortison pro Tag, 5 Tage lang; 75 mg ist eigentlich die Tageshöchstdosis. Dazu gibt’s noch andere Präparate, Endoxan ist immer dabei. Das ist eine der leichtesten Chemotherapien, aber trotzdem eine Chemo. Es soll den Schub einbremsen; bei mir hat es den Schub gefördert.
 
Ich hab die schwerste Form von MS – Schübe die steigen und steigen und nicht mehr runterkommen. Bei rechtzeitiger Diagnostizierung hat die Schulmedizin durchaus Mittel an der Hand, um die Krankheit im Griff zu halten. Es ist kein Ausheilen, man weiß ja nichts über die Herkunft von MS, aber den Leuten kann gut geholfen werden. Man versucht seinen Lebensablauf umzustellen, sich mehr auf sich selbst zu konzentrieren, ohne Ehemann und Kinder geht das ja vielleicht. Auch die Ernährung sollte man umstellen – fettiges ist ausgesprochen Gift. Gesund leben, mäßig Sport betreiben. Die Frage ist, obs der Arzt erkennt.
 
Bei mir war das viel zu spät der Fall. Die Spastik ist immer weiter fortgeschritten, die Schulmedizin verabreicht dann immer mehr und schwerere Medikamente, die dich regelrecht weich machen.
 
So wurde es schlechter und schlechter. Ich hab mich schon an den Wänden entlang getastet, mit Gleichgewichtsstörungen, Schwankungen, aber es Silvester 2000 noch irgendwie durchgedrückt. Am 1.1.2001 hab ich mich dann in den Rollstuhl gesetzt.
2001 war ein sehr hartes Jahr. Ich war sechsmal im Spital und wurde auf Reha geschickt, die war sehr erfolgreich: Ich hab einen Schub bekommen, der nicht erkannt wurde. Ich hatte dort jeden Tag Therapien, eingeteilt wie nur was, bis zu 8 am Tag. Die Neurologen meinten, kein Wunder dass es mir schlecht gehe, ich sei total erschöpft. Sie haben das antispastische Mittel hochgeschraubt, weil ich plötzlich total steif geworden bin. Ich bin dann nach Hause gekommen, hab nichts gemacht und mich von meiner Therapie erholt, aber die Symptome sind trotzdem immer ärger geworden. Da wussten wir, es war wieder ein Schub.
Dann hab ich von Cannabis und von Dr. Blaas erfahren. Er hat mich aufgeklärt über Dronabinol und auch die natürliche Substanz, hat mir ein Suchtmittelrezept gegeben. Am nächsten Tag hab ich schön brav mein Döschen mit 30 Kapseln gekauft und geglaubt, mich setzt es am Hintern: 2.250 Schilling, heute etwa EUR 164,-, ein Wahnsinn.
Am Nachmittag hab ich meine erste Kapsel genommen und ob es jetzt die Substanz war oder das Wissen, um welche Substanz es sich handelt, jedenfalls nach einer Viertelstunde bin ich dagesessen, hab geschmunzelt, gegrinst und war einfach noch lustiger wie sonst, wenn ich lustig bin.
 
Meine Freundin hat gemeint, was für ein komisches Medikament, du wirst den ganzen Tag lachen. Es hat aber toll gewirkt. Ich hab 5 Kapseln täglich gebraucht, in 6 Tagen waren sie verbraucht. Dann war das Treffen mit der CAM und da wurde mir klar: natürlich. Wir fahren natürlich. Wie kommen die Kranken dazu, solche Unsummen auszugeben, wenn die Natur uns das um einen Spott bietet? Das Geld kann, zumal bei Menschen mit Behinderung, ganz anders eingesetzt werden.
 
So ist das dann in der Runde der anwesenden Betroffenen und der Herren von den Growshops bekannt geworden: Wir bauen an. Wir machen das selber, bis die Krankenkassen sich zu diesem Medikament stellen und sagen: Die, die es brauchen, bekommen es auch wie jedes andere Medikament.
Wirkungsmäßig ist Cannabis wirklich gut. Zuletzt habe ich in Summe 37 mg antispastische Medikamente eingenommen, darunter Myolastan, von dem sogar im Beipacktext steht, dass es süchtig macht. Vom natürlichen Cannabis nehme ich 15 bis 18 mg, hauptsächlich in Form von öligen Tropfen. Dann koch ich Tee und aus dem Rest vom Teekochen lassen sich noch Kekse machen, das ist praktisch zum Mitnehmen. Ich nehm es zu 99 % oral, den Rest rauch ich. Beim Rauchen geht es schnell in den psychotropen Bereich, da merk ich ganz stark wie das Umfeld, die Stimmung der Menschen um mich die Wirkung beeinflussen. Das ist wie ein Spiegel.
 
Cannabis nimmt mir die Spastik und den Spastikschmerz. Spastik ist wie ein ordentlicher Muskelkater, nur der löst sich wieder, die Krämpfe lösen sich furchtbar schlecht. Cannabis lindert das auf vielleicht 20 %.
 
Cannabis hilft mir auch psychisch; plötzlich sind Sachen, die mich verletzen, nicht mehr so verletzend. Sie sind ganz abgeschwächt. Es lässt einen die Probleme, die man im Moment hat, besser verarbeiten, weil sie einem nicht so direkt vor Augen stehen.
Cannabis hilft mir auch bei der Regulierung der Blasen- und Darmfunktion ganz toll.
Sonst nehme ich noch sehr viel Vitamine, besonders C, Omega-Fettsäuren, ein Blutdruckmedikament und etwas zur Blutverdünnung. Vor kurzem hatte ich zum zweiten Mal einen Trigeminus-Anfall, das hängt mit Stress zusammen. Unvorstellbar schmerzhaft. Dagegen sollte ich Neurontin nehmen, in 24 Stunden dreimal. Ich bin gerade dabei, das auszuschleichen und bin bei 16 Stunden für eine Tablette. Das Mittel hat enorme Nebenwirkungen: es ist ein Antiepileptikum und hat mich fast unbeweglich gemacht. Ich hab massiv Hilfe gebraucht, man ist wie gelähmt. 7 Tage war ich ein totaler Pflegefall, gewaschen, gewickelt, da wird deine Intimsphäre zutiefst verletzt.
Ob Cannabis auch beim Trigeminusschmerz hilft, weiß ich nicht, weil ich ja dieses unsägliche Medikament nehmen muss, das ich gerade absetzen will. Wenn mir das gelungen ist, werden wir sehen, ob das auch mit dem Spiegel abgedeckt ist. Man müsste wohl die Dosierung hochfahren, bis zu einer psychotropen Grenze hab ich ja noch viel Spielraum.
 
Ich hab auch eine Tochter. Die Problematik, dass hier Kinder involviert sind in etwas eigentlich Illegales belastet mich schon. Meine Tochter betrachtet das hier ausgesprochen als Medizin, die ich brauche, und sieht auch, wie gut sie mir tut. Ich hab sie aufgeklärt über die rechtliche Lage. Sie weiß, das ist eine Droge, und die kugelt bei uns zu Hause herum.
Wie das heute immer noch gesehen wird, das ganze Thema, diese wunderschöne Pflanze, die uns die Natur zur Verfügung stellt, da muss ich sagen: Das ist unsere kranke Gesellschaft. Da sind wir ja unwahrscheinlich gesund. Wir sind gesund, die Gesellschaft ist krank.
 


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